Häufiges Bild in Deutschland: Krankenschwestern, Rettungssanitäter und viele andere in medizinischen Berufen haben den Wunsch Arzt bzw. Ärztin zu werden, doch ohne Vollabitur bleibt ihnen der Zugang zum Medizinstudium bislang verwehrt.
Ein reformiertes Verfahren für die Vergabe von Studienplätzen soll künftig auch Bewerber ohne allgemeine Hochschulreife zum Studium medizinischer Fächer zulassen. Medizin zu studieren ohne Abitur wird dann unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Medizinstudium ohne Einser-Abi kaum möglich
Bislang haben fast nur Studenten mit einer Spitzenabiturnote die Chance, einen Studienplatz in einem der medizinischen Fächer Humanmedizin, Veterinärmedizin, Zahnmedizin und Pharmazie zu ergattern. Besonders problematisch ist es im Bereich der Humanmedizin. Nur etwa 11.000 der jährlich bis zu 50.000 Bewerber werden pro Jahr für ein Medizinstudium zugelassen. Für die anderen jungen Menschen, die Arzt werden möchten, gelten lange Wartezeiten von bis zu 15 Wartesemestern.
Nach sieben langen Jahren sind die Studierenden jedoch aus dem schulischen Kontext längst heraus gewachsen. Manche haben Schwierigkeiten, sich dann im universitären Alltag zurechtzufinden. Viele haben sich beruflich bereits anderweitig orientiert und eine Familie gegründet. Die Aufnahme eines Medizinstudiums bedeutet dann oftmals einen finanziell zu großen Rückschritt.
Dagegen steht: Massiver Ärztemangel auf dem Land
Trotz der großen Bewerberzahl für Medizinstudienplätze droht insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen ein massiver Ärztemangel. Vor allem Allgemeinmediziner fehlen.
Schon seit einigen Jahren versuchen die Kassenärztlichen Vereinigungen, diesem Mangel entgegenzuwirken. Jüngst hat das Land NRW für das Vergabefahren für einen Medizinstudienplatz eine Landarztquote eingeführt. 7,6 Prozent der Medizinstudienplätze in NRW werden künftig an Bewerber vergeben, die sich mit der Annahme des Platzes verpflichten, nach der Facharztausbildung für zehn Jahre in einer medizinisch unterversorgten Region als Hausarzt zu arbeiten. Bei Nichterfüllen droht eine hohe Strafzahlung von 250.000 Euro.
Medizinstudium: Numerus Clausus als Kriterium
Die meisten Medizinstudenten haben ein Einser-Abitur. Schon lange wird über die Frage gestritten, ob nicht auch Abiturienten mit einer schlechteren Abiturnote gute Ärzte sein können. Befürworter des Numerus Clausus argumentieren, Studienanwärter mit Spitzenabitur hätten bewiesen, dass sie die kognitiven Fähigkeiten für ein Medizinstudium besäßen. Zudem belege die Abiturnote Fleiß und Disziplin der Bewerber.
Gegner des Numerus Clausus betonen den Wert einer persönlichen und sozialen Eignung des Bewerbers, die unabhängig von der Abiturnote sei. Gleichzeitig seien die Abiturnoten aufgrund des feudalen Bildungssystems nicht über Ländergrenzen hinweg vergleichbar.
Bundesverfassungsgericht fordert Überarbeitung des Zulassungsverfahrens
Am 19. Dezember 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Zulassungsverfahren zum Medizinstudium in wesentlichen Teilen verfassungswidrig ist und forderten eine Neuregelung des Vergabeverfahrens bis Ende 2019.
Die Richter ordneten zusätzliche Eignungskriterien für das Vergabeverfahren neben der Abiturnote an. In Zukunft solle mindestens ein weiteres Kriterium für die Zulassung zum Medizinstudium Pflicht sein. Zudem sah das Bundesverfassungsgericht die lange Wartezeit als verfassungswidrig an. Insgesamt forderte es mehr Transparenz bei der Vergabe. Die Abiturnoten müssen laut den Richtern des BGV zukünftig auch über die Ländergrenzen hinweg vergleichbar sein.
Studieren auch ohne Abitur
Die Kultusministerkonferenz der Länder reagierte auf dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts und legte am 6. Dezember 2018 den Entwurf für einen Staatsvertrag vor. Dieser Entwurf sieht ein neues Zulassungsverfahren zum Medizinstudium vor, wonach künftig auch Abiturienten ohne (Spitzen-)Abitur die Möglichkeit haben sollen, einen Studienplatz in Medizin zu erhalten. Sogar das Studieren ohne Abitur soll möglich sein.
Wie verläuft das Vergabeverfahren bisher?
Bislang erfolgt die Zuteilung der Studienplätze für die medizinischen Fächer nach drei Kriterien. 20 Prozent der Studienplätze werden nach dem Numerus Clausus vergeben. Dabei haben wegen der großen Zahl der Bewerbungen meist nur Abiturienten mit einem Spitzenabitur von mindestens 1,0 die Chance, einen Platz zu bekommen.
Weitere 20 Prozent der Studienplätze werden für die Studienanwärter mit Wartesemestern vergeben. Da der Andrang sehr groß ist, liegt die Wartezeit mittlerweile bei 15 Semestern.
Die anderen 60 Prozent vergeben die Hochschulen selbst. Dieses Verfahren geht auf die Änderung des Hochschulrahmengesetzes von 2003 zurück, davor wurden alle Studienplätze in Medizin zentral vergeben. Mit dieser Änderung war die Hoffnung verbunden, dass die Universitäten bei den Studierenden verstärkt die berufliche und soziale Vorbildung, Studienmotivation und persönliche Eignung berücksichtigen würden.
Faktisch werden die meisten Studienplätze jedoch auch hier nach der Abiturnote vergeben.
Was soll sich bei der Zulassung ändern?
Die bislang geltende Wartezeitquote von 20 Prozent soll künftig abgeschafft werden. Für das eigene Auswahlverfahren sollen Universitäten verpflichtet werden, neben dem Numerus Clausus zwei weitere Kriterien zu berücksichtigen. Denkbar sind hier etwa Auswahlgespräche oder Eignungstests.
Für welche zusätzlichen Kriterien sich die Hochschulen entscheiden, bleibt ihnen überlassen. Dafür sollen im zentralen Vergabeverfahren in Zukunft 30 Prozent der Studienplätze nach der Abiturnote vergeben werden statt bislang 20 Prozent. Daneben werden 10 Prozent der Plätze künftig ausschließlich nach schulnotenunabhängigen Eignungskriterien vergeben werden. Das heißt konkret, dass 10 Prozent der Studienplätze an Bewerber ohne Einser-Abitur vergeben werden können.
Medizinstudium ohne Abitur
Für einen Studienplatz in Medizin können sich in Zukunft demnach auch Interessenten ohne Abitur bewerben, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Medizin studieren ohne Abitur können Bewerber, die einen Schulabschluss der mittleren Reife haben und die eine Ausbildung in einem medizinischen Beruf mit einer Abschlussnote von mindestens 2,5 abgeschlossen haben. Erforderlich ist zudem eine dreijährige Berufserfahrung in dem medizinischen Beruf. Zu den in Frage kommenden Berufsgruppen zählen etwa Arzthelfer, Notfallsanitäter, Krankenpfleger oder Physiotherapeuten.
Die Idee der Wissenschaftsminister ist auch, durch die Möglichkeit „Studieren ohne Abitur“ den Mangel an Allgemeinmedizinern stärker zu decken. Erfahrungsgemäß wählen Medizinstudenten ohne Einser-Abitur vermehrt die Fachrichtung Allgemeinmedizin.
Eine Berufserfahrung in einem medizinischen Beruf bringt für ein Medizinstudium und Job als Arzt bzw. Ärztin überdies viele Vorteile mit sich. Die Bewerber sind oft selbstständiger als junge Abiturienten. Ein wichtiger Aspekt ist, dass sie das Berufsfeld kennen und bereits den Umgang mit Patienten gelernt haben.
Bis zum Sommersemester 2020 sollen die Neuregelungen umgesetzt werden. Medizin studieren ohne Abitur ist dann für bis zu 10 Prozent der Bewerber kein Traum mehr.
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